Retten im kalten Wasser muss gelernt sein

Immer wieder geraten Personen in Berner Gewässern in Not; oft ist eine Polizeipatrouille als erstes am Einsatzort. Die Allgemeinheit erwartet, dass sich Polizistinnen und Polizisten umgehend ins Wasser stürzen, um zu helfen. Doch ganz so einfach ist das nicht…

Unfälle in Berner Gewässern passieren nicht nur im Sommer bei angenehmen Badetemperaturen. Ein Grossteil des Jahres ist das Wasser der Bäche, Flüsse und Seen im Kanton Bern kalt, die durchschnittliche Temperatur liegt bei 13 Grad. Entsprechend gross ist die Wahrscheinlichkeit, dass eine Wasserrettung im kalten Nass erfolgen muss, beispielsweise wenn ein Kind von einem Steg ins Wasser fällt oder ein Winterschwimmer in Not gerät.

Meist sind Polizistinnen und Polizisten die ersten am Einsatzort. Von ihnen erwartet man, dass sie sich ohne zu zögern ins Wasser begeben, um den in Not geratenen Personen zu Hilfe zu eilen. Das ist jedoch nicht ungefährlich und muss überlegt und vorbereitet sein.

Die eigenen Fähigkeiten und die Lage einschätzen

Wer sich bei einer Wasserrettung kopflos ins kalte Nass stürzt, bringt sich selber in Gefahr und ist nicht mehr in der Lage, zu helfen. Polizistinnen und Polizisten müssen auch in hektischen Situationen einen kühlen Kopf bewahren und vor dem Handeln die eigenen Fähigkeiten und die Lage beurteilen können. Wie verhalte ich mich richtig? Fühle ich mich fit genug? Wie reagiert mein Körper im kalten Wasser? Wo ist der nächste Ausstieg? Um diese und weitere Fragen abschätzen zu können, braucht es viel Erfahrung. Deshalb wird die Rettung im kalten Wasser geübt.

Lernen, wie der eigene Körper mit der Kälte umgeht

Während der Ausbildung zur Polizistin und zum Polizisten wird seit einigen Jahren im Rahmen des Rettungsschwimmbrevets die Kaltwasserübung durchgeführt. Polizist Lukas Hänni hat in seinem Blogbeitrag darüber berichtet .

Ältere Polizistinnen und Polizisten, Personen im Botschaftsschutz sowie die Kolleginnen und Kollegen der Ecole de Police kamen bisher nicht in den «Genuss» dieser Übung. Damit auch sie für den Ernstfall gewappnet sind, führt die Kantonspolizei Bern im Rahmen des Weiterbildungsprogramms die Kaltwasserübung durch.

Bei fünf Grad bleiben fünf Minuten Zeit

Übungsort Bielersee: Lufttemperatur um den Gefrierpunkt, Wassertemperatur fünf Grad. Das Wetter könnte nicht ungemütlicher sein und doch ist es optimal für die Kaltwasserübung. An diesem Wintertag herrscht starker Wind, Regen und Schnee wechseln sich im Minutentakt ab.

Der Tag beginnt aber im geheizten Theorieraum in Ipsach. Bernhard Wenger, SLRG-Instruktor der Kantonspolizei Bern, erläutert das Verhalten als Retter im kalten Wasser sowie die Auswirkungen von Unterkühlung und Wärmeverlust des Körpers. Er klärt die Teilnehmenden auch über die Risiken dieser Übung auf: «Bei diesen Bedingungen kann ein gesunder Mensch pro Grad Wassertemperatur eine Minute gefahrlos im Wasser verbringen».

Für die aktuelle Übung bedeutet das, dass die Teilnehmenden problemlos fünf Minuten im Wasser bleiben können. Die Übung im Wasser dauert jedoch rund drei Minuten und ist entsprechend ungefährlich. Trotzdem steht ein Defibrillator und Notfallrucksack für einen Ernstfall bereit.

Der Sprung in die Kälte ist ein No-Go

Dann ist es Zeit, den geheizten Raum zu verlassen und sich bereit zu machen für die Übung. Wer nun erwartet, dass die Polizistinnen und Polizisten zu einem gekonnten Kopfsprung ins kalte Nass ansetzen, täuscht sich. Der erfahrene Seepolizist Bernhard Wenger betont: «Man darf nie ins kalte Wasser springen! Die Atmung würde blockieren und der Körper hyperventilieren. Richtig verhält sich, wer zuerst die Füsse ins Wasser hält und mit den Händen Nacken und Gesicht benetzt. So kann man den Körper auf das Bevorstehende vorbereiten.»

Das Übungsszenario ist realitätsnah. Bekleidet mit Uniform steigen die Polizistinnen und Polizisten langsam ins kalte Wasser. Das Atmen fällt schwer, die Teilnehmenden müssen sich konzentrieren, um nicht in Panik zu geraten. Nach einer kurzen Angewöhnungszeit legen sie eine Strecke von 40 Meter zu einer Boje zurück. Dort angekommen gilt es, rund zwei Meter abzutauchen und eine Puppe an die Oberfläche zu holen. Anschliessend transportieren sie einen Figuranten mittels Rettungsgriff an das 40 Meter entfernte Ufer.

Nach dem Aussteigen aus dem Wasser werfen die Teilnehmenden einen Rettungsring aus; bei heftigem Gegenwind kein leichtes Unterfangen. Dann setzten sie per Funk eine Meldung ab und führen während sechs Minuten Wiederbelebungsmassnahmen an einer Puppe durch. Zum Schluss wird der Teilnehmer eine Minute lang in eine Wärmedecke eingepackt, bevor er sich an die Wärme begeben darf und die Übung beendet ist.

Im Ernstfall zahlt sich die Übung aus

Nach der Übung sind die Polizistinnen und Polizisten sichtlich erleichtert und stolz, diese Aufgabe gemeistert zu haben. Auch Urs Läng, verantwortlich für diese Ausbildung vom Bereich Aus- und Weiterbildung, ist zufrieden: «Die Kolleginnen und Kollegen können das Erlernte nun in aussergewöhnlichen und hektischen Situationen unter Einfluss von wetterbedingten Gefahren anwenden und umsetzen.»

Auch wenn wir hoffen, dass sie nie in die Lage kommen, jemanden aus kaltem Wasser retten zu müssen, können sie auch in einem Ernstfall einen kühlen Kopf bewahren, die Situation korrekt einschätzen und die richtigen Schlüsse ziehen.

Seite teilen

Schreiben Sie einen Kommentar

Wir sind sehr an einer offenen Diskussion interessiert, behalten uns aber vor, beleidigende Kommentare sowie solche, die offensichtlich zwecks Suchmaschinenoptimierung abgegeben werden, zu editieren oder zu löschen. Mehr dazu in unseren Kommentarregeln.

Bitte füllen Sie alle mit * gekennzeichneten Felder aus.