Häusliche Gewalt ist keine Privatsache

Jeden Tag drei Mal rückt die Polizei im Kanton Bern wegen Notrufen im Zusammenhang mit Häuslicher Gewalt aus. Nicht immer sind die Streitenden gesprächsbereit – diese Einsätze bedingen viel Geduld und Fingerspitzengefühl.

Symbolbild

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«Nachdem sich der Nachbar bei der Notrufzentrale über laute Schreie und Streit aus der Wohnung der Familie Z. beklagt hatte, trafen wir vor Ort ein und klingelten an der Tür. Die Tür war verschlossen, aber im Hintergrund konnten wir bereits eine Frau weinen hören, während eine Männerstimme laut schrie. Nach mehrmaligen Aufforderungen und Nicht-Reagieren seitens der Bewohner konnten wir mit Hilfe des Schlüsseldienstes die Wohnungstür öffnen. Im Innern war es laut und aggressiv. Im Eingangsbereich der Wohnung fanden wir Frau Z. weinend und mit blauen Flecken an Hals und Oberarmen vor. Herr Z. stand direkt vor seiner Frau und machte mit beiden Fäusten Drohgebärden vor ihrem Gesicht.

Das gemeinsame fünfjährige Kind der Beiden befand sich zur Zeit des Streits ebenfalls in der Wohnung. Frau Z. meinte, es habe im Kinderzimmer geschlafen; es war aber offenbar durch den Lärm des Streites aufgewacht und schaute bei unserem Eintreffen ängstlich hinter der Zimmertüre hervor. Herr und Frau Z. wurden getrennt voneinander zum Vorfall befragt. Frau Z. gab dabei mehrere Male an, dass dies das erste Mal sei, dass ihr Mann sie geschlagen habe und dass schon alles wieder «gut» werde. (…). Herr Z. gab zu Protokoll, dass es seit langem Probleme gebe in der Ehe, er seine Frau aber bisher noch nie geschlagen habe. Er betonte, dass er sich bessern werde und dass ein solcher Ausbruch nicht mehr vorkomme.»

Drei Mal täglich rückt die Kantonspolizei aus

Die vorangehende Erzählung ist eine fiktive Darstellung eines Falls von Häuslicher Gewalt, der sich so nicht zugetragen hat. Sie ist aus Sicht eines Polizisten geschildert und gibt einen Einblick in eine Situation von Gewalt in den eigenen vier Wänden von Bürgerinnen und Bürgern, wie sie überall – und so auch im Kanton Bern – leider immer wieder vorkommt. Rund drei Mal müssen unsere Polizistinnen und Polizisten jeden Tag ausrücken, um bei solchen und ähnlichen Fällen von Häuslicher Gewalt zu intervenieren.

Unsere Einsatzkräfte wissen nie, welche Situation sie auf der anderen Seite einer Wohnungstür erwartet. Es braucht jedes Mal viel Geduld und einiges an Fingerspitzengefühl, wenn die Betroffenen nicht verstehen, weshalb die Polizei auch dann zu Hilfe kommt, wenn die Streitenden sie gar nicht gerufen haben.

«Warum mischen Sie sich überhaupt ein?!»

Die Gesellschaft hat sich gewandelt, es ist kein Tabu mehr, wenn Frauen von ihren Partnern geschlagen und bedroht werden. Seit Häusliche Gewalt ein Offizialdelikt ist, sind die Polizistinnen und Polizisten verpflichtet, einzugreifen. Treffen zwei unserer Polizistinnen oder Polizisten in einer Wohnung ein, müssen das Opfer und die beschuldigte Person getrennt voneinander zum Vorfall befragt werden. Bei etwa der Hälfte aller Fälle von Häuslicher Gewalt sind auch Kinder betroffen. Sie sind in jedem Fall die Leidtragenden, selbst wenn sie selbst nicht immer direkt von gewalttätigen Handlungen betroffen sind. Streit und Gewalt in der eigenen Familie hinterlassen jedoch tiefe Spuren bei Kindern. Sie fühlen sich oft schuldig für den Streit oder dafür, dass sie einen Elternteil nicht vor den Schlägen des anderen schützen konnten.

Wie können wir sicherstellen, dass niemand zu Schaden kommt?

In meiner Arbeit als Leiter der Polizei-internen Steuerungsgruppe Häusliche Gewalt arbeite ich mit meinen Kolleginnen und Kollegen intensiv daran, das Problem der Häuslichen Gewalt einzudämmen. In der Zusammenarbeit mit anderen Behörden können wir erreichen, dass sich die Opfer ernst genommen fühlen und unmittelbar nach einem Vorfall Unterstützung erhalten. Denn häufig stellen sich viele Fragen: Wo kann eine Mutter mit ihren Kindern wohnen, wenn es zuhause nicht mehr möglich ist? Gibt es vorübergehend einen sicheren Ort für Kinder, wenn es zuhause mit Vater und Mutter nicht mehr geht? Welche Hilfe braucht das Opfer sofort und braucht es auch über längere Zeit Unterstützung, medizinisch, psychologisch etc.? Wo kann der Täter untergebracht werden, wenn er am gleichen Abend nicht mehr zurück in die gemeinsame Wohnung gehen soll? Wie kann ein Täter zur Verantwortung gezogen werden und wo erhält auch er Hilfe? Dazu kommt, dass die betroffenen Opfer häufig nach Einsätzen wegen Häuslicher Gewalt immer noch Schamgefühle verspüren. Hier muss behutsam vorgegangen werden.

Bei Fällen von häuslicher Gewalt ist es absolut zentral, dass alle notwendigen Anlaufstellen, Behörden und weiteren Institutionen gut zusammenarbeiten. Nebst der Kantonspolizei arbeiten unter anderem die Regierungsstatthalterämter, die Sozialdienste, die Staatsanwaltschaft, die Frauenhäuser, die Kinder- und Erwachsenenschutzbehörde (KESB), die Beratungsstelle Opferhilfe, die Mütter- und Väterberatung und die Kinderschutzgruppe Inselspital eng zusammen, damit wir gemeinsam folgendes Ziel erreichen: Die Häusliche Gewalt stoppen, die Opfer schützen und unterstützen und die Täter zur Verantwortung ziehen und auch ihnen Hilfe anbieten. Eine wichtige Drehscheibe für die Arbeit rund um die Häusliche Gewalt ist auch die Berner Interventionsstelle gegen Häusliche Gewalt. In Zusammenarbeit mit uns und weiteren Partnern organisierte die Interventionsstelle bspw. im vergangenen Jahr die Ausstellung mit dem Titel «Willkommen zu Hause», welche Gewalt in Familien und Partnerschaft thematisiert. Ziel der Ausstellung war es, den Besuchern Auswege aus der Gewaltspirale und Anlaufstellen aufzuzeigen sowie Antworten auf drängende Fragen zum Thema Häusliche Gewalt zu geben.

Die Probleme sind nicht gelöst – hinschauen ist wichtig

Von aussen betrachtet könnte man meinen, dass jetzt, wo die Polizei bei jeder Meldung von Häuslicher Gewalt eingreift und zusammen mit vielen Partnern eine Besserung der Gewaltsituation erreicht werden soll, die Gewalt eingedämmt werden kann. Aber am Ziel sind wir leider noch lange nicht; das zeigen auch die statistischen Zahlen. Seit mehreren Jahren gibt es im Kanton Bern mehr als 1’000 Fälle von Häuslicher Gewalt und die Dunkelziffer dürfte deutlich darüber liegen. Nein, der Kampf gegen die Gewalt in den eigenen vier Wänden ist nicht aussichtslos, aber es ist ein langer Weg und es wird noch viele Bemühungen von uns und allen Partnern brauchen, bis die Zahl der Fälle zurückgehen wird. Unsere Arbeit geht also noch lange weiter und unsere Polizistinnen und Polizisten werden jedes Mal eingreifen, denn Häusliche Gewalt ist keine Privatsache.

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Broschüre «Zuhause im Unglück» (Schweizerische Kriminalprävention)

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1 Kommentar

  1. Möchte ich nicht angeben

    Ganz herzlichen Dank für das tägliche Engagement aller Polizisten und Polizistinnen! Ich wünsche Ihnen allen, dass Sie von jedem ihrer Einsätze wohlbehalten zurück kommen, denn der Umgang mit dem Unbekannten und einer schwierigen, gefährlichen Situation wird Ihnen allen bestimmt viel abverlangen.
    Ich kann aber aus eigener Erfahrung sagen, wie dankbar ich bin, dass die Polizei in solchen Fällen eingreift, hilft und da ist. Und ich bin beeindruckt von der Professionalität, dem Fingerspitzengefühl und der Freundlichkeit, die ich in so einer Situation von den involvierten Polizisten erfahren durfte. Danke!

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