Ehrenformation: zwölf Stunden in einer historischen Uniform

Heute begleiten wir ein Mitglied der Ehrenformation durch einen festlichen, aber langen Tag. Wer hätte gedacht, was alles hinter den Männern in den Uniformen von 1798 steckt? Ein Erlebnisbericht von der Feier für die neue Grossratspräsidentin.

Die Kantonspolizei Bern nimmt für den Staat Bern auch Repräsentationsaufgaben wahr, unter anderem mit der Ehrenformation. Diese wurde im Jahr 1983 offiziell durch den Regierungsrat ins Leben gerufen und trägt bis heute die historische Uniform der Berner Milizinfanterie von 1784. Der letzte Einsatz der Ehrenformation war die Grossratspräsidentinnenfeier für Ursula Zybach am 8. Juni 2017.

Mein Name ist Eric Bohren. Nach einer Stellenausschreibung für die Ehrenformation habe ich mich als sogenannter Grenadier beworben, wurde rekrutiert und durfte im Herbst 2000 das Marschieren und Chargieren (den Umgang mit der historischen Waffe) erlernen. Am Jahresrapport 2001 im Schloss Spiez wurde ich als Grenadier zu dieser ehrenvollen Aufgabe unter die Berner Fahne berufen.

Mittlerweile nehme ich in verschiedene Zusatzfunktionen wahr und darf auch als zweiter Fähnrich oder als Ersatz-Fahnenwache walten. Heute wird mir zudem eine besondere Ehre zuteil: Als Stellvertretung für meinen Chef, den Unterofficier der 1. Section, darf ich an seiner Stelle die 1. Section an diesem Einsatz anführen. Wir alle sind Angehörige der Kantonspolizei Bern, unterstehen aber als Ehrenformation unserem Obmann, dem Staatsschreiber Christoph Auer.

Zwei Stunden Vorlauf müssen sein

Obwohl der erste offizielle Einsatz erst um 14.45 Uhr auf dem Rathausplatz in Bern stattfindet, treten wir bereits um 12.45 Uhr im Ausbildungszentrum Ittigen an. Der Tagesbefehl, der durch Anordnung des Staatsprotokolls erlassen wurde, sagt «Fassen der Armaturen und Monturen» an. Wir ziehen die dicke, schwere, blau-rote Uniform an, montieren die Socken und steigen dann in unsere alten Militär-Lederschuhe. Am Absatz ist ein kleines Eisenstück montiert; das macht beim Marschieren auf dem Asphalt einen schönen Ton. Dann die Stoffgamaschen überziehen und noch einmal kontrollieren, ob die weissen Socken genau einen fingerbreit über die Gamaschen schauen. Der Säbel, «s Sytegwehr» über die linke Schulter, die Pulvertasche über die rechte, dann noch den Dreispitz mit der rot-schwarzen Feder auf den Kopf. Fertig!

Obwohl man uns im Korps auch «Perückenböcke» nachruft, ist es nur den beiden Officiers und dem Fähnrich vorbehalten, ihren Rängen entsprechend eine Perücke zu tragen. Jetzt fehlt nur noch meine Waffe, welche in der Waffenkammer auf mich wartet. Es ist ein Vorderlader-Steinschlossgewehr der Marke Charlesville mit der Nummer 4. Unsere Waffen stammen zwar aus den USA, entsprechen aber genau den Waffen von 1777, welche die Berner Truppen auch 1798 bei der Schlacht am Grauholz gegen die Truppen von Napoleon einsetzten.

Der «Bäri» ist immer dabei

Voll ausgerüstet und in Reih und Glied warten wir in der Turnhalle auf den Appell. Im Vollbestand wären jetzt zwei Officiers, ein Fähnrich, zwei Unterofficiers, fünf Tambours, 27 Grenadiers (inkl. ein Säckelmeister) anwesend. Aber wie fast immer fehlen ein paar Grenadiere, entweder krankheitsbedingt, ferienabwesend oder eben als Polizisten irgendwo unterwegs.

Jetzt geht es los. Oh, habe ich mein Mobiltelefon auf lautlos geschaltet? Wie peinlich, wenn jetzt der Ton losginge!

Nach dem Melden beim Commandant erfolgt die Entladekontrolle der Waffen und das Verschieben des Plotton, der ganzen Formation, in die Paradeformation. In der Paradeformation – zwei Sections in vierer Kolonnen aufgestellt – erfolgt der Befehl «Präsentiert, ds Gwehr!» und die Tambouren schlagen den Fahnenmarsch. Der Fähnrich und die Fahnenwachen marschieren vor dem Plotton vorbei, halten vor dem Commandant an und begrüssen diesen mit dem Schwingen der Fahne vor ihm. Danach marschieren sie weiter, um dann zwischen der 1. und 2. Section einzustehen.

Was viele nicht wissen: Die Berner Truppen kämpften unter dem Ancient Regime zwar unter der «alten Berner Fahne», wir treten aber bei den offiziellen Anlässen immer mit der neuen Berner Fahne auf, der Staatsfahne – mit unserem «Bäri».

Auf zur Hauptprobe

Sie haben sich bestimmt schon gefragt, warum ich so komisch schreibe. Sämtliche Kommandi und Ausdrücke basieren auf dem Exercier-Reglement für die bernischen Truppen aus dem Jahr 1786! Und mit diesen werden wir halt befohlen, auch heute im Jahre 2017.

Um uns etwas aufzuwärmen und uns auch geistig auf den Feldzug einzustellen, wird marschiert und chargiert. «Plotton, in vierer Kolonne, im Ordinarischritt, vorwärts, Marsch!» Die ganze Formation setzt sich in Bewegung und wir marschieren ein paar Runden in der Turnhalle. Aber es geht eher gemächlich zu und her, da der «Ordinarischritt» rund 60 Schläge pro Minute bedeutet. Jetzt bloss nicht aus dem Takt fallen, denn ich muss vor meinem ganzen Zug alleine marschieren.

Wir marschieren in die Paradeformation auf und von da werden wir in die Schlachtformation befohlen. Das ganze Plotton steht dann nur noch auf zwei Gliedern, zwei Reihen. So werden wir später zur Inspektion bei der neuen Grossratspräsidentin Frau Ursula Zybach gemeldet.

Jetzt üben wir trocken das Chargieren: das Laden der Waffen und Abfeuern von zwei Schüssen als Ehrensalut. Die Hauptprobe hat ganz gut geklappt: Hie und da mussten unsere Officiers noch Kleinigkeiten korrigieren, aber das gehört dazu.

Nach dem Marschieren kommt das (lange) Stehen

Marschieren und Chargieren bringt einen zwar in Bewegung, aber einen grossen Teil der Zeit verbringen wir im Stehen. Unser Commandant ermahnt uns noch einmal «Mauer fest!» im «Ruhn!» zu stehen und nicht mit unseren Kollegen zu schwatzen. Schliesslich muss es ja auch ein gutes und diszipliniertes Bild abgeben – auch wenn wir manchmal bis zu zwei Stunden stehen müssen.

Jetzt geht es aber los! Wir fahren in einem Car in die Stadt Bern, laden aus und stellen uns sofort in Formation auf. Im Ordinarischritt geht es bis vor das Rathaus. Es sind schon einige Zuschauer vor Ort, die gespannt auf unseren Auftritt und vor allem auf das Erscheinen der neuen Grossratspräsidentin warten. Kaum haben wir uns schön aufgestellt, beginnt die Vorstellung – der Protokollchef meldet, dass sie dem Zeitplan etwas voraus sind. Schlachtformation einnehmen, der Grossratspräsidentin das Plotton melden; daraufhin schreitet sie die Formation zur Inspektion ab.

Jetzt wird es spannend: Der Commandant befiehlt das Chargieren und bald schon knallt es zweimal zum Ehrensalut. «Meine» Grenadiere haben es gut gemacht. Die beiden Schüsse tönen jeweils fast wie einer. Ich bin stolz auf meine Schützen. Ein «Ehrensalut à zwo Schuss!» in der Stadt Bern abgeben zu dürfen, ist ein ausserordentliches Highlight. Da nimmt man dann das abschliessende gründliche Reinigen des Gewehrs nach einem langen Einsatz gerne in Kauf, selbst wenn es nochmals etwa eine Stunde dauert.

Die Zuschauer applaudieren. Nur ein älterer Mann ruft aus den hinteren Zuschauerreihen etwas von: «Sauerei! Frechheit! Scheisslärm! Die Polizei sollte kommen!» «Henusode», man kann es nie allen Recht machen. Die Frau Grossratspräsidentin jedenfalls hat sich gefreut und bei uns bedankt.

Schönes Wetter – mit Schattenseiten

Mit dem Car geht es weiter ins schöne Berner Oberland nach Spiez, wo der zweite Teil der Festivitäten stattfindet. Wir stellen uns in zwei Reihen am Bahnhof auf und bilden einen Spalier für die Ehrengäste, die in Kürze aus dem Extrazug steigen werden. Mit unseren Uniformen sorgen wir dort für einiges Aufsehen. Vor allem die vielen Touristen füllen ihre Fotoapparate mit etlichen Bildern.

Nach dem Empfang am Bahnhof verschieben wir wieder in der Marschformation zum Schloss Spiez. Die örtliche Polizei muss für uns den Verkehr aufhalten, damit wir quer durch das halbe Dorf marschieren können. Um die Sperrung so kurz wie möglich zu halten, marschieren wir im «Doppolier-Schritt» – rund 120 Schläge in der Minute.

Es ist ein herrlicher, schöner und heisser Tag. Ich merke, wie mir der Schweiss über Gesicht und Rücken herunterrinnt. Nichtsdestotrotz geniesse ich die vielen Zuschauer am Strassenrand, das herrliche Bergpanorama, die schönen Häuser, die Landschaft… Ups! Bin ich noch im Schritt?

Ja, alles paletti! Das kommt halt vom Träumen.

Im Schlosshof angekommen, trennt sich die Fahne und die Fahnenwache von uns und stellt sich beim Rednerpult auf. Hoffentlich wird es ihnen nicht allzu heiss während dem Stehen. Eine Stunde regungslos in der Hitze stehen ist kein Pappenstiel. Da ist es auch schon vorgekommen, dass jemand ohnmächtig wurde.

Auch das Abendprogramm verzichtet nicht auf die Ehrenformation

Der Rest des Plottons begibt sich in den Schlosspark vor dem Schloss; hier errichten wir mit unseren Gewehren ein Feldlager. Während wir uns ausruhen, teilt der Vice-Commandant Ablösungen ein, damit der Fähnrich und die Fahnenwachen nicht zu lange stehen müssen und sich auch erholen können. Nach den Festreden marschieren wir wieder im Schlosshof ein, errichten wieder ein Feldlager und dürfen dann am Apéro teilnehmen.

Nach dem Apéro erwartet uns noch einmal ein anstrengender Teil: Wir marschieren im Plotton im Ordinari-Schritt zum ABZ (Ausbildungszentrum für die Schweizer Fleischwirtschaft).

Wie schnell ist der Ordinarischritt schon wieder? Richtig: langsam (60 Schläge pro Minute).

Und trotzdem, die Strasse wird immer steiler, man empfindet sie fast überhängend… und dann diese Hitze. Endlich angekommen stellen wir uns sofort wieder für einen Spalier auf, damit die geladenen Gäste einen würdigen Rahmen zum Eintreten in den Festsaal haben.

Bevor wir nun auch zum Nachtessen können, «versenden» wir noch unsere Fahne. Das Plotton stellt sich in Paradeformation auf, und wie am Anfang beim «In Empfang nehmen der Fahne», erfolgt dasselbe Prozedere mit Fahnenmarsch, etc. Jetzt verabschiedet sich die Fahne aber vom Commandant und uns und verlässt unsere Reihen.

Mit der Heimfahrt ist der Einsatz noch nicht zu Ende

Sehr viel später machen wir uns im Car wieder auf den Weg Richtung Ittigen. Dort angekommen ist der lange Tag nicht etwa vorbei, sondern wir ziehen uns sofort um. Denn in der Uniform dürfen wir die Waffen nicht reinigen – zu heikel wäre die Reinigung der Uniform, wenn sie verschmutzt würde.

Nach dem ordentlichen Einräumen der Monturen und Armaturen (Uniform und Waffe) werden wir zur Schlussbesprechung gerufen. Im Resümee ist unser Commandant mit dem heutigen, heissen Feldzug zufrieden und entlässt uns kurz darauf, mit den besten Wünschen zur Heimreise.

Kurz nach Mitternacht falle ich dann auch müde, aber glücklich und überwältigt von den schönen Bildern ins Bett. Ein langer Tag geht zu Ende. Und trotzdem bin ich wahnsinnig stolz und fühle mich auch geehrt, ein Mitglied der Ehrenformation des Staates Bern zu sein.

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4 Kommentare

  1. Schön geschrieben Eric.
    Ich fühlte mich gerade auch in die Uniform zurück versetzt.
    Ich denke oft wehmütig an vergangene Feldzüge.

    • Eric

      Hallo Michael,
      danke vielmals für deine Worte. Jeder Feldzug ist ein aufregender Einsatz und immer mit vielen schönen Gedanken auch an ehemalige Mitmarschierende oder Stehende verbunden.

  2. Fahrni Ulrich

    Bravo Erich treffend geschrieben gespickt mit Gedanken („ups bin ich noch im Schritt“, „wie schnell ist der Ordinarischritt“, usw.) und untermalt mit historisch-traditonellen Gefühlen, die ich jeweils auch genauso empfinde. Es freut mich sehr, dass du stolz gewesen bist die Unterofficier-Aufgabe zu übernehmen. Ich bin sicher, dass du mich absolut würdig vertreten hast. Merci Eric

    • Eric

      Hallo Ueli,
      merci vielmals für deinen Kommentar und deine Anerkennung.
      Es war mir eine grosse Ehre!
      Liebe Grüsse Eric

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